Archeology
DDR – Fundstücke
Fundstücke in geschichtsträchtige Dokumente zu transformieren und sie so wieder zum Sprechen zu bringen, ist ein in den letzten Jahrzehnten nicht seltenes Verfahren bei Künstlern. Sie bekunden ein künstlerisches Vorgehen, Vergangenes zu memorieren und an den hinterlassenen Spuren Geschichte, dasjenige, was sich zugetragen hat, zu entziffern. Das unterscheidet sie von einem Chronisten, der ausführlich die Begebenheiten als historische Kontinuität erzählt, möglichst neutral, ohne die großen von den kleinen Ereignissen zu scheiden. Das Verfahren, die liegen-
gelassenen und teils verschütteten Gegenstände zu sammeln, sie in einen historischen Diskurs
zu setzen und damit an ihnen Geschichte zu rekonstruieren, lässt sich mit Michel Foucault als ein archäologisches beschreiben. Archäologie bedeutet inhärent Geschichtsschreibung der Dinge. Darin liegt gerade die Möglichkeit, die sprach- und kontextlos gewordenen Dinge einer erneuten Interpretation zugänglich zu machen. Der Geschichtsforscher hätte die Chance, sie behutsam in einen historischen Kontext einzubinden, zu zeigen, was sich ereignet hat, nicht wie der Chronist als Ablauf geschichtlicher Kontinuität, sondern an den Brüchen der Geschichte, die sich an diesen Fundstücken dokumentieren.
Als archäologisches lässt sich auch Liz Bachhubers künstlerisches Verfahren beschreiben, wenn sie wie in ihrem Schatzkammer Fundstücke zusammenträgt, sorgfältig reinigt, gruppiert, diese zueinander ästhetisch passend werden lässt: Ersatzteile für Trabbis, Werkzeuge, Autoteile, Schrauben, Nägel, Haushaltswaren und anderer metallischer Schrott - heute nur noch kurios erscheinende Dinge. Die Fundstücke argumentieren mit ihrer Vergangenheit. An den Kratzern zeigt sich ihr Gebrauch, an den rostigen Spuren und Fragmenten der Zahn der Zeit. Mit der ästhetischen Präsentation der durch Vergoldung und Polieren aufgearbeiteten Fundstücke knüpft Liz Bachhuber an einen Vorläufer des Museums an, an die Schatz- und Wunderkammern der Renaissance- und Barockfürsten. Vor allem Curiosa wurden dort ausgestellt und erstmals wissenschaftlich systematisiert. Diese frühe Form des Museums inspirierte die Surrealisten, die dort ihre Anregungen zu einer Geschichte der Natur fanden. Sie waren es auch, die Fundstücke aus ihrem natürlichen Kontext oder auch aus dem Alltagszusammenhang lösten und als objets trouvés in die Kunst einführten.
Objets trouvés sind Liz Bachhubers Fundstücke ebenso. Es handelt sich aber nicht wie bei den Surrealisten um zufällig gefundene Gegenstände, auch wenn sie in dieser Ansammlung so erscheinen. Es sind Alltagsrelikte der DDR, welche die Künstlerin auf ihren Sperrmüllgängen gefunden hat. Auch Schwemmmaterial, das im Frühjahr 1994 in Weimar von der Ilm ans Ufer gespült wurde, hat sie gesammelt. Liz Bachhubers raumgreifende Installation Hochwasser an der Ilm: Pegelstand (1996) nimmt darauf Bezug, zeigt, wie nach Rückgang des Pegelstands sich der Müll der vergangenen Jahre zwischen niedergerissenen Bäumen und Buschwerk abgelagert hatte. Zeitungen, Briefe, Kleidungsstücke, Plastesäcke oder Kinderspielzeug sind sozusagen „Relikte einer natürlichen Geschichtsschreibung“, auf die die Künstlerin in ihrer Komposition von Dokumenten umwickeltem Reisig und den Überbleibseln der Flut anspielt. Dieses Anti-Monument legt die Tragik der DDR in Gestalt von Naturgeschichte offen. Mit dem Untergang des Staates verschwand auch dessen Alltagskultur. Einstmals wegen latenter Materialknappheit hoch geschätzt, wurden die Dinge des täglichen Lebens in kürzester Zeit durch Westprodukte ersetzt und wanderten gleichsam als „Ballast der DDR“ auf den Schrott. Vor allem in den ersten Jahren nach dem Mauerfall konnte man an aussortierten Gegenständen den Alltag der DDR genauestens studieren. Diese Alltagsdinge waren diejenigen, die vor der Auflösung der DDR im Westen faszinierten. Sie suggerierten in einer Überflussgesellschaft, noch Gebrauchswerte zu sein. Der Theaterproduzent und Regisseur Heinen Müller ironisierte schon zu DDR-Zeiten diese westliche Position, vermutete darin, dass der Westen in der DDR das Ursprüngliche, Authentische noch suchen würde. Dem mag so sein, denn Künstler wie Joseph Beuys, der durchaus kritisch der DDR gegenüberstand, haben in den Gebrauchsgegenständen ein utopisches Potential gesehen. Nun ist es aber die entrümpelte Alltagskultur, an der angesichts dieser neuen Form des Abfalls die Geschichts- und Sozialwissenschaften versagen. Stattdessen wird der Müll veredelt ins Museum geholt. Restauriert erscheinen dort die DDR-Fundstücke wie Reliquien einer zurückgelassenen Kultur. Es wird nicht mehr darüber reflektiert, dass hinter dem von der Vergangenheit abgeschalteten Material Geschichte unaufgearbeitet brach liegt. Mit dem Sammelsurium demonstriert Liz Bachhuber den Umgang mit der jüngsten deutschen Geschichte, indem sie zeigt, dass die DDR museal geworden ist. Dass die Musealisierung möglicherweise ein Umgang des Westens mit DDR-Kultur ist, ist heute noch nicht definitiv zu behaupten, ebenso wenig wie die Frage zu beantworten ist, ob das dahinterstehende Interesse ein genuines ist oder ob die Alltagsgegenstände der ehemaligen DDR exotisch erscheinen und deshalb ausgestellt werden.
So paradox es klingen mag, ist sowohl das Forschungsinteresse als auch die Faszination am Exotischen der Musealisierung eigen.
Künstler sind nun keine Historiker, vielmehr Zeitzeugen. Das repräsentiert die neueste Arbeit von Liz Bachhuber, Conference, mit der sie sich den aktuellen Problemen der DDR-Geschichte stellt. Conference meint die Kommunikationsstrukturen einer ehemals abgeriegelten Gesellschaft, die bis heute noch untergründig weiterwirken. Die beiden Stuhlkreise sind jeweils in ein großes Nest eingeflochten. In dem einen sind die Sitzflächen nach innen, in dem anderen nach außen gerichtet. Die Kreise zeigen die vorhandenen Möglichkeiten einer Kultur, die durch die gemeinsame Geschichte verbunden ist: entweder weltoffen oder hermetisch abgeriegelt gegenüber Einflüssen von außen. Zwischen beiden Positionen befänden sich heute Gesellschaft und Kultur, so die Künstlerin, die jahrelang zwischen West und Ost gependelt ist. Das Leben zwischen den Kulturen schärfte ihren Blick außen. Mit ihrem kulturellen „background“ als US-Amerikanerin sieht sie deutsche Geschichte mit anderen Augen und ermöglicht dadurch erneutes Nachdenken über deutsche Geschichte. Verdrängtes an die Oberfläche zu befördern ist die Intention von Liz Bachhuber. Sie macht sich deshalb geschichtswissenschaftliche Verfahren zu eigen. Daher scheint ihr das archäologische und nicht das chronistische Vorgehen näher zu liegen. Ihr Metier ist auch nicht die Sprache, sondern die Dinge oder das Material als unerschöpflicher Fundus der Geschichte. Dies am Fundmaterial selbst aufzuspüren, ist eine Konstruktion der Geschichtsforschung, die sich traditioneller Kausalitätsbestimmungen von Geschichte entzieht, die aber Künstler zu Kollaborateuren der Geschichtsschreibung werden lässt. Beruhigend, dass sich über diese Form von Geschichtsforschung keine endgültige Interpretation des Vergangenen erzielen lässt.
Anne Hoormann