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Natur als Leerstelle

Ohne Beton gäbe es die Anhimmelung der Bäume nicht, meinte Adorno. Die romantische Sehnsucht nach Natur entstand erst im Zuge ihrer Verdrängung durch die technologische Zivilisation der Moderne. Heute kann man sich solche Sehnsucht kaum noch ungebrochen
leisten. Es gibt nicht mehr viele Künstler, die es mit dem Thema „Natur“ aufnehmen. Der
Stand der„technischen Reproduzierbarkeit der Natur“ (Gernot Böhme) ist weit fortgeschritten
und unumkehrbar. Auch kritisches ökologisches Bewusstsein tritt pragmatisch auf, im Sinne des Kalküls, dass es dumm wäre, das Huhn zu schlachten, dessen Eier man braucht. Utopien einer „Allianztechnik“ (Ernst Bloch), die Natur nicht nur imitiert, wie man es in der Renaissance anstrebte, sondern ihr helfend, befreiend zur Seite steht, scheinen passe. Bundesgenossen sind Natur und Technik allenfalls in dem Sinne, dass sie auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen sind.

In der Installation Prunings Predicament (1993) hat Liz Bachhuber 26 Bäume, Krone an Krone, Stamm an Stamm mit Metallschellen an der Wand befestigt. Die gekappten Äste wurden mit PVC-Schläuchen zu einem 60 Meter langen Pipeline-Verbund zusammengeführt. Hier und auch in Arbeiten aus den folgenden Jahren hat die Künstlerin die kulturelle „Zwangslage des Zurecht-Stutzens“ anschaulich gemacht. Wir beschneiden die Natur und müssen sie dann sozusagen an den Tropf hängen, damit sie unsere „liebevolle Zuwendung“ überleben kann. Es gilt also, natürliche und technische Prozesse zur Synthese zu bringen – aber oft kommt dabei nur die Montage von Unvereinbarem heraus. Die Arbeit Leitung (1994) dreht das Konstruktionsprinzip
von Prunings Predicament um: Buchenäste stellen die Verbindung zwischen zwei Abflussrohren aus PVC her, an einer Stelle zweigt eine hölzerne Leitung ins Nichts ab. Im Kleinen Kreislauf, in
der Kleinen Laborarbeit oder in Curley Cue (1995) bilden organische und mechanische Elemente scheinbare Einheiten aus Zweigen, Latexschlauch und Laborglas, die anrührend hilflos wirken. Tote Materie, vergebliche Belebungsversuche im Labor? Oder Wachstum, das aus naturwissenschaftlichen Arrangements entspringt? In jedem Fall haben die Stücke mit ihrer Feinheit und dem ästhetischen Zusammenstimmen von Laborgerät und Naturfragment starken Reiz. Sie sind eher zierlich und heiter als melancholisch. Überhaupt haben Liz Bachhubers Arbeiten, die das Naturverhältnis des technisch-zivilisierten Menschen von heute ausloten, nie den bleiernen Ernst, der sich angesichts unseres desaströsen Umgangs mit äußerer und innerer Natur schnell einschleichen könnte. Kein Erhabenes wird beschworen, sondern an das Naturschöne erinnert. Die Künstlerin spielt mit den Formen der Natur – immer auf seriöse Weise, aber immer so, dass es Vergnügen macht.

Wenn Äste sich mit beschriftetem Papier amalgamieren, wird Natur chiffriert. Chemnitzer Hof (1993) Gelber Ast, Philemon und Baucis (1994) präsentieren den Zeichencharakter der Objekte.
Liz Bachhuber verwendet hier Blätter aus ihrer Korrespondenz. Hand- und Maschinenschrift werden zum verrätselten Text, zur zweiten Haut der krummen Hölzer. Deren Oberfläche ist fast zur Gänze bedeckt, wenn nicht mit Schriftzeichen, dann mit Farbe: Gelb, Blau, leuchtendes Orange.

Die Natur ist für uns kein heiliges Symbol wie für Augustinus; sie erscheint nicht mehr als göttliches Buch, das auch die zu deuten verstehen, die des Lesens unkundig sind, um in der Schöpfung die Signatur ihres Urhebers zu entziffern. Natur ist für uns auch nicht der universale Kommunikationszusammenhang, den der Mystiker Jakob Böhme in ihr erblickte. Aber Kommunikation in und mit der Natur findet durchaus statt-, sie hinterlässt Spuren, Zeichen, die vieldeutig bleiben. Diese Arbeiten von Liz Bachhuber wirken wie Geheimschriften, Bilderschriften der Natur. überhaupt kommt bei ihr Natur in Artefakten zur Erscheinung, die sich zur ersten Natur zurückbewegen.

Getting Back to Nature heißt eine Reihe von Arbeiten aus dem Jahre 1992: ein Grundbedürfnis der Zivilisierten, aus dem „Dickicht der Städte“ ins Dickicht des Anderen vorzustoßen, das doch auch das Eigene sein soll. Aber „erste“ – also von Menschen unabhängige – Natur ist immer schon „zweite“, gesellschaftlich in Regie genommene, domestizierte Natur. Fischefangen, ehemals Arbeit, Teil des Kampfes um Naturbeherrschung, ist Sport geworden; Erholung vom Stadtleben, das Sicherheit bietet, aber mit dem Verlust elementarer Erfahrungen verbunden ist. Als Kind war die Künstlerin beeindruckt von den Naturerlebnissen ihres Vaters, der mit seinen Freunden einmal im Jahr Selbstbehauptung in der Wildnis Kanadas probte. Beherrschung der feindseligen und zugleich durch Schönheit und Erhabenheit beeindruckenden Natur ist wohl eine lebendige Urerfahrung der amerikanischen Kultur. Die Verwilderung der fischenden Männer, die, wie Liz Bachhuber sagt, versuchten, „an die ursprüngliche Rolle als Jäger und Sammler durch Sport wieder anzuknüpfen“, war zweischneidig. Sie waren von Insekten zerstochen und von der Sonne gegerbt, aber es umwehte sie der Geruch von Whiskey und Zigarren, die sie, ungestört von der heimischen Domestizierung, in der Wildnis genießen konnten. Die Zivilisation bietet uns gezähmten Menschen Rituale, die zwar kommerzialisiert und gebändigt sind, aber immerhin erlauben, einige unserer Grundbedürfnisse wenigstens annäherungsweise zu befriedigen.

In Getting Back to Nature gibt es wundervolle Allegorien der Naturbeherrschung am Menschen und nach außen: Fische beispielsweise, als Teil einer Säulenordnung aus Schlagstöcken und Gipshechten (Shurkatch, 1992). Die Stöcke sehen aus wie Baseballschläger und erinnern ans Sportritual, aber es sind Instrumente, mit denen die Beute an Land totgeschlagen wird. Oder der Flying Fish, ein Gipszander, den ein Baseballhandschuh umschließt wie das Brötchen den Fisch-Mac. Allegorien domestizierter Natur auch anderswo: Efeu, mit Metallschellen schwebend an der Wand befestigt (Wandstück, 1994). An seinem Herkunftsort hatte sich der Efeu an eine Hauswand geschmiegt. Nun vertritt er das Abwesende. Die organische Form, sagt Liz Bachhuber, deutet negativ das Fehlende an: die von Menschen gebaute Architektur. Tatsächlich ein Wandstück: kein innerer Bestandteil der Wand, aber innig auf die Wand bezogen, insofern eigenständiges Teil von ihr, mehr als nur ein Stück an der Wand.

Natur als Leerstelle: Die Vögel sind ausgeflogen aus den Kühlschranktüren und Autohauben. Sie haben Ausschnitte zurückgelassen in den technischen Apparaten, die Naturkräfte imitieren und bündeln, aber das Prinzip ihrer Dynamik nicht in sich selbst tragen. Sicher ist es im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit der Natur schwierig geworden, mit Aristoteles' Unterscheidung zwischen Natur und Artefakt noch trennscharf zu operieren. Aber die ursprüngliche, eigene Triebkraft des Organischen wird dadurch nicht grundsätzlich in Frage gestellt; das rätselhafte Faktum besteht weiter, dass Naturdinge das Gesetz ihrer Entwicklung in sich selbst haben, während die technisch verfertigten Gegenstände in jeder Hinsicht des äußerlichen Anstoßes bedürfen. Selbsterzeugung und Emergenz – immerhin ein Rest von Unverfügbarkeit, die Aristoteles noch der Natur als Ganzem zusprach. In der Massencarambolage von 1992 sind Autoteile zum Monument erstarrt. Sie sind bewegungslos, dabei ist die Bewegung doch nicht
nur ratio essendi des Automobils, sondern überhaupt „ist die Naturwissenschaft durchgängig entweder eine reine oder angewandte Bewegungslehre“, wie Kant im Anschluss an Newton definierte. Platzhalter bewegter Formen aber sind präsent: Durch die Silhouette des Vogels,
der sich frei aufschwingt, ist ein Stück Himmel zu sehen. So lassen sich Liz Bachhubers Arbeiten durchaus auch als Anstrengung verstehen, technische Objekte, die naturanaloge Vorgänge perfektionieren, auf Naturhaftes hin durchsichtig zu machen.


Gerhard Schweppenhäuser