Domestic Passions
Vögel sind der Inbegriff von Freiheit und Ungebundenheit. Sie können von Natur aus, was die Menschen ihnen mit großem technischen Aufwand gleichzutun versuchen: Sie erheben sich in die Lüfte. Doch steht mit dem Fliegen gleichzeitig auch der Himmel offen, wie der alte Menschheits-
traum glauben machte? In ihrer Werkreihe Domestic Passions fragt Liz Bachhuber nach den Ambivalenzen und Widersprüchen unserer technisierten Lebenswelt.
Der häusliche Alltag liefert dabei das Material für künstlerische Arbeiten, die unsere Position an der Schnittstelle von Natur und Technik beleuchten. Nicht technologische Neuheiten, sondern Haushaltsklassiker bilden das Szenario der Domestic Passions, dem allerdings nichts Anheimelnd, Vertrautes anhaftet. Die Künstlerin hat Bügelbrett, Wäscheständer, Babybett und Laufstall maßstabgerecht in poliertem, grauen Stahl nachgebaut. Vorgefundenes wie Schaumlöffel, Gemüseraspel, Kinderwagengestell oder Kühlschranktüren sind ebenso als skulpturale Metallkonstruktionen behandelt. Diese Reduktion löst die Dinge aus ihren Funktions-
zusammenhängen. Von praktischen Bezügen und nostalgischen Erinnerungen befreit werden
sie zu zeichenhaften Prototypen von stählerner Härte.
Die Stäbe der käfighaften Kindermöbel und Küchengeräte dienen nun als Gerüst für Vogelnester unterschiedlicher Gestalt und Größe - die ornithologische Artenvielfalt leicht übertreibend. In dynamischer Kreisform winden sich biegsame Zweige um die kalten Saiten von Eierschneider und Schneebesen, um das Gittergeviert von Säuglingsbett und Schaukel. Im Kontrast von eckigstarrem Gehäuse und federndem Naturmaterial begegnen sich scheinbar unvereinbare Welten: statische Architektur und nomadenhaftes Vogeldomizil. Aber die Metallgerüste bieten den Nestern auch Halt und Stütze; das lose Geflecht braucht einen stabilen, sicheren Ort. Gleichzeitig sind die meisten Nesthalter selbst mobil. Kinderwagen und Küchenwerkzeuge können mitsamt Nest bewegt werden und bekommen dadurch ebenfalls etwas Nomadenhaftes. Mit Polarisierungen allein lässt sich also das komplexe Verhältnis von Natur und Technik nicht erfassen.
Liz Bachhuber antwortet auf die allenthalben geforderte Vernetzung getrennter Systeme mit einer „Vernestung“ des Alltags. Nicht ohne ironischen Seitenblick auf konventionelle Wertmaßstäbe blendet sie dabei konkurrierende Sichtweisen ineinander. Technisierter Lebensraum und romantische Natursehnsucht, Alltagszwänge und kreative Entfaltung erscheinen als Facetten derselben Existenz. Die Natur vereinnahmt ganz selbstverständlich die Produkte menschlicher Zivilisation. Vögel nisten auf Stromleitungsmasten oder unter Dachtraufen, verwerten Stoffreste und Plastikschnipsel. Genauso verarbeitet die Künstlerin das Inventar des Familienalltags in ihrer ästhetischen Auseinandersetzung, in der sie Konflikte reflektiert wie die zwischen Natur und Zivilisation oder die zwischen Hausarbeit und Kunstarbeit. Statt abstrakter Postulate formuliert sie bestehende Bedingungen und Widersprüche. Unüberhörbar schwingen jedoch im Hinterrund des alltagsnahen Pragmatismus Reste romantischer Naturvorstellungen mit. Bilder stellen sich ein von Nestern in Baumwipfeln, die sich im Wind wiegen und sogar Stürme unbeschadet überstehen. In den Domestic Passions klingt bei aller Skepsis die Überzeugung an, dass wir unsere zivilisatorische Entfernung von der Natur nicht mit dem Verlust sämtlicher Instinkte bezahlt haben. Dass wir noch etwas wissen von der Kunst des Nestbaus.
Die Nester der Domestic Passions sind leer; ihre Bewohner haben sie verlassen. Auch in der Wandarbeit Eisvögel zeigen sie sich nur als ausgeschnittene Silhouetten auf den Kühlschranktüren, die zu Durchblicken werden in den ausgeleuchteten Hohlraum dahinter. Wellenartig modelliert das Licht die Innenräume der Türen und begleitet damit die aufsteigende Vogelschar. Mit Schnappverschlüssen, Scharnieren und Beleuchtung treten die aufgehängten Türen als Objekte in Beziehung zur bildhaften Fläche ihrer weißen Blechfronten, welche den Namen des Geräteherstellers wie eine Signatur tragen. Als Projektionsfolie beschwören die Schrankflächen in Eisvögel (1998) das romantische Bild gleitender bzw. aufflatternder Vögel, in dem idyllische und bedrohliche Aspekte von Natur gleichermaßen aufscheinen. Als Kühlschranktüren zitieren sie das Standardgerät des modernen Haushalts. Es dient elementaren menschlichen Bedürfnissen wie der Ernährung und Vorratshaltung, steht aber auch für die verfeinerte Produktpalette der Lebensmittelindustrie. Der „elektrische Schrank" wird wie die Nester im Stahlkorsett zur Metapher für die Technisierung unserer unmittelbaren Umgebung, die bei aller Entfernung von der Natur aufgeladen ist mit der romantischen Vorstellung ihrer unberührten, glücklichen Existenz.
Gudrun Bott